„Warum in die Ferne schweifen? Sieh das Gute liegt so nah.“, dieses Zitat, frei nach einem Gedicht Goethes, ging uns beim Lesen des Reiseangebots durch den Sinn: „Auf alten Bahntrassen durch Bayern“. Stehen aufgelassene Bahntrassen doch für gute, entspannte Kilometer auf dem Rad und Bayern, speziell Nordbayern für Nähe zu unserem Wohnort. Ein Fragezeichen steht jedoch hinter unserer individuellen An- und Abreise, da es sich bei der Reise nicht um einen Rundkurs handelt. Wir lösen das Problem, indem wir auf Auto und Bahn verzichten und vom ersten Kilometer an auf das Fahrrad setzen.
Eine Radtour ab/bis eigene Haustüre, diese Idee hat Charme!
Unterstützung finden wir von meiner Schwägerin, die uns anbietet nach gut einem Drittel des Anreisewegs bei ihr zu übernachten – Hotel Family gewissermaßen. Und so starten wir mit vollen Gepäcktaschen und einer Wettervorhersage, bei der wir ohne festen Reisetermin vermutlich zu Hause geblieben wären.
Dass dies klug gewesen wäre, bekommen wir am zweiten Tag zu spüren, Regen in allen Stärken begleitet uns vom ersten bis zum letzten Kilometer! Solche Regentouren mag ich nicht, nicht nur weil sie ungemütlich sind, sondern auch weil man nichts von der Umgebung mitnimmt, durch die man radelt. Tief über den Lenker gebeugt riskieren wir durch regennasse Brillen nur ab und zu einen Blick zur Seite. Unser Luxus beschränkt sich auf ein paar Pflichtpausen in Wartehäuschen am Straßenrand und auch auf den Abstecher zum Oberzenner See, den man uns extra empfohlen hatte, verzichten wir – nur ja keinen Meter mehr fahren als unbedingt nötig! Nass bis auf die Haut kommen wir schließlich in Rothenburg ob der Tauber an und treffen im Hotel unsere Reisegruppe.
Seit Jahren planen und reisen wir gerne alleine auf eigene Faust, diese Reise vom Oldenburger Veranstalter Sausewind jedoch lässt sich kaum individuell organisieren, da sie aus verschiedenen Bausteinen – den diversen Bahntrassen – besteht, die zum einen so weit auseinander liegen, dass sie nur durch längere Autofahrten verbunden werden können, die Tagestouren zum anderen allesamt Streckentouren sind.
Baustein 1. Taubertal und Gaubahn.
Über Kopfsteinpflaster holpern wir durch die Altstadt hinunter zum Unteren Tor. Ich kann mich nicht erinnern Rothenburg jemals so leer gesehen zu haben. Was man als Besucher durchaus begrüßt, ist eine Katastrophe für die Stadt. Hier lebt und arbeitet fast jeder für und mit dem internationalen Tourismus – bis hin zum japanischen Laden. So beschert Corona jedem sein Päckchen!
Der Kopf wird frei, als wir über den Taubertalweg hinunter ins Tal der noch jungen Tauber rollen, die rund 20 km südwestlich nahe der Frankenhöhe entspringt. Auf vorwiegend asphaltierten Wegen geht es nun flußabwärts durch das ursprüngliche, naturbelassene Tal. Mühlen, Streuobstwiesen, kleine Ortschaften und immer der muntere kleine Fluss an unserer Seite – der Name des Radwegs „Liebliches Taubertal“ beschreibt treffend dieses romantische Tal.
Nach ca. 20 km ein erster Kulturstopp. Die Herrgottskirche am Ortsrand von Creglingen beherbergt das wahrscheinlich bedeutsamste Werk von Tilman Riemenschneider, den mehr als 9 m hohen Marienaltar, einen Flügelaltar, entstanden Anfang des 16. Jahrhunderts. Zwar können wir das „Lichtwunder“ nicht miterleben, wenn um den 20./25. August zwischen 17 und 18 Uhr die Marienfigur durch das Westfenster von der Sonne beleuchtet wird, doch beeindruckend ist dieses geschnitzte Kunstwerk auch so.
Am Ortsrand von Röttingen erwartet uns der Bus von Sausewind zum Picknick. Ein guter Geist, sprich unser Busfahrer, hat Tische und Bänke sowie ein leckeres Buffet aufgebaut. Es sind unter anderem diese Aufmerksamkeiten, mit denen sich Sausewind von anderen Anbietern abhebt. Dass gerade jetzt die Sonne scheint, macht die Pause perfekt.
In Röttingen verlassen wir das Tal der Tauber und fahren auf der Trasse der ehemaligen Gaubahn nach Ochsenfurt am Main. Bis 1992 verkehrten noch Züge auf dieser Strecke, die nirgendwo mehr als 5% Steigung aufweist und deshalb keine besonderen Anforderungen an die Kondition stellt. Weit reicht der Blick auf der Hochfläche, ehe wir wieder hinunter rollen an den Main. Noch ein kurzer Rundgang durch die Ochsenfurter Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern, dann bringt uns der Bus zurück nach Rothenburg.
Um halb zehn abends begeben wir uns in die Obhut des Nachtwächters, der uns durch schummrige Gassen führt und mit launigen Erzählungen Geschichte und Geschichten der mittelalterlichen Stadt nahe bringt. Ein gelungener Abschluss eines schönen Tages, Daumen hoch für die Rothenburger Nachtwächter!
Baustein 2. Ingolstadt – Bad Gögging.
Die Räder im Hänger verladen fahren wir nach Ingolstadt, wo uns die nächste Stadtführung erwartet. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir zu Ingolstadt bisher nichts anderes einfiel als Raffinerie und Audi. Dass die Stadt auch eine Geschichte hat, die sogar bis ins 9. Jahrhundert zurück reicht, erfahren wir erst auf unserem fast zweistündigen Rundgang.
Um 15 Uhr heißt es dann wieder „Aufsitzen“. Entlang der Donau fahren wir aus dem Stadtgebiet hinaus. Es ist warm geworden, die Sonne sticht und ringsum bauen sich dunkle Wolken auf, gelegentlich ist sogar ein Donner zu hören. Wir sind in der bayerischen Bierregion Nr. 1 unterwegs, auf den Feldern ist bereits die Hopfenernte im Gang und entsprechend verschmutzt sind manche Wegstrecken.
Auf den letzten Kilometern, die auf einem Hochwasserdamm entlang führen, erwischt uns dann doch noch der Regen. Aber kein Problem, zwar reicht die Zeit für einen Besuch in der Limes Therme nicht mehr, aber die Hoteldusche ist auch kein schlechter Ersatz.
Baustein 3. Schambachtal Radweg und Donaudurchbruch
Noch ist es kühl, als wir uns in Kösching auf die Räder setzen, aber die Sonne scheint und sie soll es mit zunehmender Intensität den ganzen Tag tun. Zunächst führt die Trasse der ehemaligen Bahnverbindung Ingolstadt – Riedenburg zwischen Wiesen und Feldern über die Hochfläche mit weiten Blicken über das hügelige Land. Hier haben wir eine Begegnung der besonderen Art. Ein Fahrzeug der örtlichen Straßenreinigung kommt uns mit einer Radweg breiten Kehrmaschine entgegen. Wir machen gerne Platz und bedanken uns anständig für den frisch gekehrten Weg.
Durch das Schambachtal – wieder so ein liebliches, naturbelassenes Tal – rollen wir hinunter zur Altmühl bzw. an den Main-Donau-Kanal, der hier in weiten Teilen den Fluss ersetzt. Die Idee beide Flüsse zu verbinden ist nicht neu. Bereits Karl der Große veranlasste den Bau der Fossa Carolina, die vermutlich auch vollendet wurde, wie jüngste Ausgrabungen zeigen. Rund tausend Jahre später griff König Ludwig I von Bayern die Idee erneut auf. Im Jahr 1846 wurde der Ludwig-Donau-Main-Kanal eröffnet, der jedoch bald zu klein wurde und von der Eisenbahn Konkurrenz bekam. Pläne zum Ausbau in heutiger Größe existierten bereits in den 1920er Jahren, doch erst 1960 wurde konkret mit der Umsetzung begonnen. Nach 32-jähriger Bauzeit konnte im September 1992 das letzte Teilstück eröffnet werden. Nordsee und Schwarzes Meer sind somit durch eine Wasserstraße verbunden.
Felsen und Burgen bestimmen die Landschaft im Altmühltal. Eine von ihnen thront hoch über dem Ort Riedenburg. Zu ihren Füßen kehren wir in einem großen, gut besuchten Biergarten zur Mittagspause ein. Diverse Rad- und Wanderwege führen hier vorbei und noch ist Ferienzeit in Bayern, was den Betrieb hier und auf den Wegen erklärt.
Gut 15 Kilometer weiter in Kehlheim steigen wir vom Rad aufs Schiff um. Durch den weltbekannten Donaudurchbruch, die Engstelle die sich die Donau im Lauf der Jahrmillionen aus dem Jura geschliffen hat, geht es flussaufwärts bis Kloster Weltenburg. Einst von Mönchen des Benediktinerordens besiedelt ist es heute zu einem Pflichtprogramm des Tourismus geworden. Selbst jetzt zu Coronazeiten ist die Gaststätte im Innenhof der Klosteranlage nahezu voll besetzt. Dass in Weltenburg Bier gebraut wurde, ist erstmals für das Jahr 1050 amtlich belegt. Heute besitzt das Weltenburger Bier Weltruf und der Bierpreis in der Klosterschenke hält mühelos mit der Qualität Schritt.
Nach der Bierverkostung wartet auf dem Parkplatz bereits unser Bus, der uns zu einer weiteren Übernachtung zurück nach Bad Gögging bringt.
Baustein 4. Der Bockl Radweg
Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss. In unserem Fall ist dies der 52 km lange Bockl Radweg, der längste Bahntrassenradweg Bayerns. Um ihn zu erreichen, müssen wir jedoch nochmals unseren Standort wechseln. Eine fast zweistündige Busfahrt bringt uns in den Oberpfälzer Wald nach Eslarn nahe der tschechischen Grenze.
Kurz nach der Abfahrt werfen wir mit einem kleinen Abstecher nach Abensberg noch einen Blick auf den Kuchlbauer Turm. Er steht auf dem Betriebsgelände der Brauerei und ist das Wahrzeichen von Kuchlbauers Bierwelt. Wie man unschwer sehen kann, ist er ein Werk von Friedensreich Hundertwasser.
Mit Verlassen der Donauregion ändert die Landschaft ihr Gesicht. Wir fahren nun auf das Mittelgebirge des Oberpfälzer Waldes zu und besonders von der über die Höhen angelegten A 6, die nach Prag weiter führt bieten sich weite Blicke bis hinüber nach Tschechien. Im nur 4 km von der Grenze entfernten Eslarn ist Endstation. Die Räder werden entladen und wir machen uns auf der Trasse des Eslarner Bockl auf den Weg. Zwischen 1908 und 1992 war diese Nebenstrecke die einzige Zugverbindung in der strukturschwachen Region. 1995 wurde mangels Auslastung auch der letzte Teilabschnitt für den Gütervekehr stillgelegt.
Bereits ein Jahr nach der Stilllegung hat man u.a. mit Hilfe von EU-Fördermitteln auf Teilstücken mit dem Ausbau des Radwegs begonnen. Der letzte Bauabschnitt konnte am 30. Juli 2005 seiner Bestimmung übergeben werden. Der Radweg führt in seiner gesamten Länge durch den Naturpark Nördlicher Oberpfälzer Wald und ist Bestandteil des 2008 eingeweihten Paneuropa-Radwegs Paris-Prag.
Durch schattige Wälder, vorbei an Feldern und sonnigen Viehweiden fahren wir abwechselnd auf Asphalt und Schotter fast mühelos in ständigem Auf und Ab. Nur die Absperrpoller an den Straßenkreuzungen, die hier teils so nahe beieinander stehen, dass man absteigen muss, unterbrechen die Fahrt. Ab und zu am Wegrand ein Relikt aus der Eisenbahnzeit oder ein stillgelegter Bahnhof. Immer wieder tauchen größere Ortschaften auf, dominiert von einer stattlichen Kirche. Ein Bild voller Harmonie – hier ist die Welt noch in Ordnung.
Das war nicht immer so. Wer die Region noch aus den 1970ern kennt weiß, dass hier eine der ärmsten und strukturschwachsten Gegenden Bayerns angesiedelt war, hinter der die Welt am Eisernen Vorhang endete. Heute strahlen die Gemeinden soliden Wohlstand aus mit geschmackvoll renovierten Ortskernen, hübschen Neubaugebieten, großzügig angelegten Spiel- und Sportplätzen, die so manche großstädtische Anlage in den Schatten stellen.
An einem dieser Plätze am Rand von Vohenstrauß – natürlich am höchsten Platz im ganzen Ort – erwartet uns der Bus von Sausewind noch einmal zu einem Picknick, das alle Erwartungen übertrifft. Von Antipasti über Wurst und Käse bis hin zu frischem Obst und Naschereien bleibt kein Wunsch offen. Auf jedem Tisch steht neben dem Wasser eine Flasche Wein, von der wir allerdings im Hinblick auf die noch vor uns liegenden 25 km nur zaghaft kosten – leider. An dieser Stelle ein dickes Dankeschön den Organisatoren!
Nachdem wir mit dem Fahrenberg die höchste Stelle der Trasse (600 m) überwunden haben, geht es fast nur noch bergab hinunter nach Neustadt an der Waldnaab. Hier trennen sich unsere Wege wieder. Sausewind fährt weiter zu einer letzten Übernachtung, unser Tagesziel liegt bereits Richtung Heimat in dem kleinen Ort Parkstein. Wir verabschieden uns von der Gruppe, danke liebe Mitradler, es waren vier schöne Tage mit euch. Als wir kurz darauf am Straßenrand noch einmal anhalten, um nach einer Alternative zu der nervigen Hauptstraße zu suchen, fährt unser Bus vorbei, ein kurzes Hupen – tschüss!
Wieder allein.
Schon von Weitem sehen wir den Basaltkegel des Parkstein, der wie ein Pickel in der Landschaft sitzt. Er ist er südlichste in einer Kette von Vulkanen, die hier vor mehr als 20 Millionen Jahren das Gesicht der Erde formten. Rund um seinen 40 m hohen Basaltkegel gruppiert sich heute die Ortschaft Parkstein.
Die Adresse unseres Quartiers hätte uns eigentlich stutzig machen sollen: Bergstüberl, Basaltstraße und tatsächlich ist es das höchst gelegene Gebäude im Ort, sieht man einmal von der Kirche oben auf dem Felsen ab. Dafür ist die Aussicht überwältigend. Das Restaurant hat geschlossen, wir sind die einzigen Gäste im Haus – eine Folge von Corona. Auch im benachbarten Parksteiner Hof, wo wir zu Abend essen sieht es nicht besser aus. Außer einem halben Dutzend Handwerker sind wir die einzigen Gäste. Doch zumindest zeigt sich hier wieder etwas Leben in einer Region, die nicht allzu sehr vom Tourismus abhängig ist.
Knapp 65 Kilometer liegen vor uns, als wir uns nach einem ausgiebigen Frühstück auf den Heimweg machen. Den kürzesten Weg versperrt der Truppenübungsplatz Grafenwöhr, den man entweder südlich oder nördlich umfahren muss. Wir haben uns für die nördliche Variante entschieden. Ich hatte Bedenken wegen der Wegführung, denn ich kenne die Strecke nur aus dem Autofenster. Ob unsere Software von Komoot wohl Wege und kleine Sträßchen anzubieten hat? Sie hat und zeigt uns die Landschaft und die Orte am Weg aus einer ganz neuen Perspektive.
Allerdings kann sich auch das Höhenprofil sehen lassen: 650 hm bergauf und 630 hm bergab – wir leben nun einmal in einer bergigen Gegend. Doch heute fahren wir ohne Zeitdruck, kein einziger Regentropfen ist in Sicht. Wir genießen die vorbeiziehende Landschaft und unsere Stopps an schönen Stellen. In Auerbach müssen wir eine längere Pause einlegen, weil Detlefs Akku wieder zu schwächeln beginnt. Der positive Nebeneffekt ist ein Besuch im Eiscafé am Markt. So lässt es sich radwandern! Exakt 400 km zeigt der Tacho, als wir vor unserem Gartentor vom Rad steigen.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Parkstein xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx „Kiesi-Beach“, Pressath xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Rußweiher, Eschenbach
Kern dieser Radtour war die Reise „Auf alten Bahntrassen durch Bayern“ von Sausewind Oldenburg GmbH. Auf etwas mehr als 230 Radkilometern lernt man die oben beschriebenen Bahntrassen kennen und bekommt dabei noch das eine oder andere kulturelle Highlight mit. An- und Abreise finden standardmäßig im eigenen Bus ab/bis Oldenburg statt, können aber wie in unserem Fall auch indiviuell erfolgen.
Die Tagestouren zwischen 30 und 60 km sind einfach, mit nur geringen Steigungen und lassen sich auch ohne E-Bike problemlos bewältigen. Übernachtet wird in guten Mittelklasse Hotels.
Diese und noch andere Reisen aus dem Programm von Sausewind Oldenburg GmbH können über unsere Homepage SkandAktiv-Reisen gebucht werden.
Auf unserer individuellen Fahrt nach Rothenburg und zurück ab Neustadt a.d. Waldnaab vertrauten wir zu unserer vollsten Zufriedenheit dem digitalen Routenplaner von Komoot. Die digitale Navigation – auf Wunsch auch akkustisch – ist besonders bei Regenwetter jeder gedruckten Karte überlegen.
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