„Norsk Skieventyr – Norwegisches Skimärchen“ nennt sich das Museum in dem kleinen Ort Morgedal in den Bergen Telemarks, das immer einen Besuch wert ist und nicht nur Skienthusiasten zu einem multimedialen Rundgang einlädt.
Einem Märchen gleicht es tatsächlich, was hier vor knapp 200 Jahren geschah. In Morgedal stand die Wiege des modernen Skilaufs und die Schlüsselrolle in diesem Märchen spielte ein armer Bauernsohn aus Morgedal: Sondre Auersen Norheim, der hier am 10. Juni 1825 das Licht der Welt erblickte.
Nicht etwa, dass Ski oder ähnliche Gerätschaften bis dahin unbekannt gewesen wären! Bereits die Menschen der Bronzezeit benutzten sie. Doch Ski waren immer nur Mittel zum Zweck, Hilfsmittel, um sich im verschneiten Land überhaupt fortbewegen zu können. Das blieb so bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts. Man benötigte Ski für die winterliche Jagd und Waldarbeit, mehr nicht.
Erst ganz allmählich erkannte man, dass diese „Hilfsmittel“ noch einen anderen Stellenwert besaßen und der Ski entwickelte sich vom bloßen Arbeitsgerät zum Spiel- und Sportgerät. Am Sonntag, dem einzigen arbeitsfreien Tag in der Woche, traf sich nach dem Kirchgang das gesamte Dorf am nahe gelegenen Hang und brachte so etwas Spaß und Abwechslung in den harten, entbehrungsreichen Alltag. In diese Zeit hinein wurde Sondre Auersen geboren.
Sein Elternhaus war eine ärmliche Hütte in Øverbø, einer Lichtung oberhalb des Ortes Morgedal. Von hier hatte Sondre einen herrlichen Blick über das Tal und den See – und sobald der erste Schnee fiel, einen wunderbaren, verlockenden Skihang zu seinen Füßen. Sondre verspürte wohl schon als Kind einen unwiderstehlichen Drang über diesen und andere Hänge auf Ski hinunter zu sausen. Das war ihm wichtiger als der „Ernst des Lebens“ in dieser ohnehin ernsten und entbehrungsreichen Zeit. Überliefert ist, dass er eines Tages nicht nur sein Lesebuch ins Feuer warf, sondern auch von der Mithilfe auf dem Hof nicht sonderlich viel hielt. Stattdessen vergnügte er sich lieber draußen im Schnee. Eines Tages fragte er seinen älteren Bruder: „Eivind, glaubst du, dass man von unserem Hausdach springen kann?“ „Denk nicht an so etwas, Sondre!“, war Einvinds Antwort. „Gut, dann versuche ich es jetzt!“
Sein Mut und sein Können machten Sondre sehr bald zum „Helden“ von Morgedal, das für dieses neuartige Freizeitvergnügen durchaus aufgeschlossen war. Skifahren war beliebt und bei den sonntäglichen Treffen wurde eifrig probiert und über Material und Technik diskutiert. Mit Sondre jedoch konnte es keiner aufnehmen. Keiner fuhr mit so viel Mut und Eleganz die Hänge herunter wie er, keiner sprang so weit wie er. Die Bewohner Morgedals meinten gar, er wäre mit Ski an den Füßen geboren und dass Skifahren für ihn die natürliche Art der Fortbewegung war. – Es war rmehr, es war sein Leben!
Das änderte sich auch nicht, als er 1854 die ein Jahr ältere Rannei heiratete und mit ihr sechs Kinder bekam. Die junge Familie zog nach Morgedal herunter an einen Platz mit dem Namen Norheim, aus dem sich später sein Name Sondre Auerson Norheim ableitete. Auch über dem Leben des Familienvaters standen nach wie vor drei große Buchstaben: S K I.
Doch Sondre war nicht nur ein begnadeter Skifahrer, er war auch ein guter Handwerker und erfindungsreicher Tüftler. Bald schon hatte er erkannt, dass die damals üblichen drei Meter langen, unförmigen Latten und das lose Bindungssystem der Bewegung im Schnee sehr bald Grenzen setzten. Als erstes reduzierte er die Skilänge auf ca. 2,40 m und stabilisierte die Verbindung vom Schuh zum Ski. Dann gab er den geraden „Brettern“ eine Form: Breiter an Spitzen und Enden, schmal unter der Bindung, die Maße 84-69-76 mm. Der Carvingski war erfunden – Mitte des 19. Jahrhunderts!
Damit nicht genug, er fand auch heraus, dass sich diese neu entwickelten Ski durch Verlagerung des Gewichtes und durch eine stabile Position des Läufers noch besser steuern ließen als durch das übliche ruckartige Herumreißen. Eine ausgeprägte Schrittstellung und eine deutliche Tief-Bewegung war der Beginn einer Technik, die wir heute nach Sondres Heimat Telemark nennen. Ein tiefer Körperschwerpunkt und der Knicks sind typisch für diese Technik, die durch ihre fließenden Bewegungen so leicht und spielerisch wirkt, fast wie ein Tanz.
Nachdem der Skisport bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine breite Schicht der Bevölkerung erreicht hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis es zum ersten Kräftemessen bei Wettkämpfen kam. Hier sprach sich das Können des Sondre Norheim rasch herum, bis über die Grenzen seines Heimattales hinaus. Bei allen sich bietenden Gelegenheiten nahm er an Wettbewerben teil, die er meist als Erster beendete. Dabei war er keineswegs ein Modellathlet, eher klein und drahtig, aber gute Technik in Verbindung mit gutem Material verschafften ihm einen komfortablen Vorspruch vor der Konkurrenz – das war schon vor 150 Jahren nicht anders!
Die Zeiten waren hart und entbehrungsreich im Norwegen des 19. Jahrhunderts. Auch bei der kinderreichen Familie Norheim hielt man sich gerade so über Wasser. Die bescheidenen Preisgelder, die für den Sieger solcher Wettbewerbe ausgegeben wurden, waren ein willkommener Beitrag zum Lebensunterhalt. So nahm Sondre 1868 auch gerne die Einladung an, am ersten nationalen Skiwettbewerb am Iverslökken in Oslo, das damals noch Kristiania hieß, teilzunehmen. Begleitet von zwei Freunden machte sich Sondre mit Ski an den Füßen auf die 200 km lange Reise. Drei Tage waren sie unterwegs.
Der Wettbewerb bestand aus einer Kombination von Skisprung und Abfahrt, allerdings nicht auf einer glatten Piste, sondern „Freeride“ auf einem naturbelassenen Hang. Sondre war zu diesem Zeitpunkt bereits 42 Jahre alt, dennoch gewann er den Wettkampf vor einem 20 Jahre jüngeren Konkurrenten und begeisterte die Zuschauer. Mit dem Preisgeld in der Tasche machte er sich dann wieder auf den 200 km langen Heimweg – ein Profi durch und durch!
Doch alle sportlichen Erfolge, alle Einnahmen durch den Skisport, die er neben seinem Handwerksberuf erhielt, reichten letztlich nicht für ein bescheidenes Auskommen. Wie viele Zeitgenossen sah auch Sondre seine Zukunft in Amerika. 1884 wanderte er aus und fand erst in Minnesota, später in North Dakota eine neue Heimat. Dort gab es für ihn zwar Arbeit und Land, doch das Heimweh plagte ihn und er vermisste seine geliebten Berge. Wie zu Hause in Morgedal standen den ganzen Winter über seine Ski neben der Türe und notgedrungen wurde Sondre in dem flachen Präriestaat zum Langläufer. Vier Jahre nachdem er ausgewandert war, erhielt Sondre Norheim die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er starb am 09. März 1897, traurig und entwurzelt, fern seiner Heimat Telemark. Fast hundert Jahre später wurde ihm 1966 in Denbigh ein Gedenkstein gesetzt.
Es war in Amerika der 1970er Jahre, als Skipatrols in Colorado die in Vergessenheit geratene Skitechnik des Sondre Auersen Norheim zu neuem Leben erweckten, die für ihre Zwecke ideal war. Seither hat „Telemarken“ eine einzigartige Renaissance rund um die Welt erlebt und erlebt sie immer noch. Man darf sich fragen: Wie sähe der Skilauf heute aus ohne den Pioniergeist eines Sondre Norheim?
Die Norweger wissen, was sie ihrem berühmten Sohn zu verdanken haben und verehren ihn wie einen Nationalhelden. Schon drei Mal wurde das Feuer für Olympische Winterspiele in Morgedal entzündet: 1994 für Lillehammer, 1960 für Squaw Valley und 1952 für die Winterspiele in Oslo, damals am Herd seines Geburtshauses. Die Schale mit der Olympischen Flamme steht heute neben Sondres Statue vor dem Museum Norsk Skieventyr in Morgedal.
Wen die Reise auf der E134 durch die Telemark führt, z.B. von Oslo nach Stavanger oder Bergen, sollte sich auch als Nicht-Skifahrer einen Besuch im Museum „Norsk Skieventyr“ nicht entgehen lassen. Ein anderer Teil des Museums ist der Polarforschung gewidmet. Auf der kleinen Wanderung hinauf nach Øverbø, wo Sondres Geburtshaus stand, bekommt man einen Eindruck von den bescheidenen Lebensverhältnisse des 19. Jahrhunderts, aber auch von der wunderbaren Landschaft Morgedals.
Eine Biographie Sondre Norheims findet man auf → Sondrenorheim.com,
mehr zum Museum bei → Norsk Skieventyr, Vest-Telemark Museum
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Sondre Norheim Statue
vor dem Museum Norsk Skieventyr
Der Nachbau von Sondre Norheims Hütte
im Museum Norsk Skieventyr
Seine Werkstatt
Museum Norsk Skieventyr
Olympisches Feuer 1952 und heute
Bildnachweis:
Sprung vom Dach: © vest-telemark.museum.no
Olympia 1952; © Sondrenorheim.com/Sturlason
Alle anderen Fotos: © SkandAktiv