Es war alles so schön geplant für den Sommer 2020: Zwei Monate Skandinavien von der Dänischen Südsee bis hinauf ans Eismeer, von den Wäldern Kareliens bis zu den norwegischen Fjorden. Doch dann durchkreuzte Corona mit dickem Rotstift unsere Pläne. Wir nahmen es gelassen, verglichen mit vielen anderen ging es uns ja ausgesprochen gut bei uns hier auf dem Land, die Natur direkt vor unserer Haustüre. Anfangs genossen wir diese erzwungene Entschleunigung, das Reduziertsein auf wenige Kilometer, doch mit steigendem Sonnenstand stieg auch unser Reisefieber.
Als im Juni in Europa nach und nach die Reisebeschränkungen fallen, steht unser Ziel fest: Urlaub mit Enkelbesuch im österreichischen Sonnenstaat Kärnten. Für die Anreise haben wir uns ein Zeitfenster von bis zu vier Tagen gesetzt, abhängig von Wetterlage und spontaner Routenwahl – ein Luxus, den man sich nur als Rentner und Camper leisten kann.
Erste Zwischenstation auf unserem Weg in den Süden sollte am Mattsee im Salzburger Seenland sein. Hier sind wir vor einem Jahr auf dem Mozart Radweg vorbei gekommen und waren uns damals schon einig, dass diese Ecke einen weiteren Besuch verdient hat.
Doch einfach spontan ins Blaue zu fahren, dass funktioniert in Österreich nicht, nicht zur Ferienzeit und schon gar nicht nach Corona. Im Seenland ist kein einziger freier Platz zu bekommen, erst zwischen Fuschlsee und Salzburg finden wir Unterschlupf im etwas abseits gelegenen Huberbauer Camping, einem kleinen, ruhigen Platz, der weder mit See noch mit sonstigen Attraktionen in der Nähe punkten kann, dafür aber mit einer guten Portion Landluft von den geodelten Wiesen ringsum.
Das Gewitter zum Frühstück ist nur kurz, doch die Feuchtigkeit in Verbindung mit der schon bald wieder scheinenden Sonne schafft ein Klima wie im Treibhaus. Das ist nicht unser Wetter, nicht Detlefs und auch nicht meines. Schlapp und antriebslos hängen wir herum, bis wir uns mittags doch endlich auf die Räder setzen, Ziel ist der Hofer Naturbadestrand am Fuschlsee.
Via Nockberge nach Kärnten. Runde Grasberge, Almidylle und weite Blicke, das sind die Nock’n. Auch das Wetter spielt mit, bei schönstem Sonnen- schein schrauben wir uns über 52 Kehren – Reindl, wie sie hier heißen – über die Nockalm Panoramastraße hinauf und wieder hinunter. Prächtige Zirben und Lärchen stehen immer wieder an den Hängen und in den ehemaligen Almhütten am Wegrand gibt es Ausstellungen und Workshops. Wir entscheiden uns für einen kleinen Rundweg im „Silva Magica“, einem Erlebnisraum zum Thema Naturgeheimnisse und Naturwesen, ein netter Waldpfad, nur mit soviel Esotherik kann ich nichts anfangen. Lieber ist mir da schon die Ausstellung „Bäume als Überlebenskünstler“.
Durchaus real ist dagegen unser Wunsch, nach der Wärme der letzten beiden Nächte heute etwas kühler zu schlafen. Also erneut hinauf auf knapp 1.800 m auf die Turracher Höhe! Bei den streckenweise 23 % Steigung kommt unser „Dicker“ ordentlich ins Schnaufen und Schwitzen – er ist halt auch nicht mehr der Jüngste! Unser Ziel sind die Stellplätze des Bergheim Schmidt, einen Campingplatz gibt es hier oben nicht.
In der Absicht die Abendsonne mit Talblick zu genießen, parken wir am unteren Rand des Platzes. Keiner hatte mit dem Gewitter gerechnet, das buchstäblich aus heiterem Himmel über uns herein bricht. Es schüttet wie aus Kübeln und binnen kurzer Zeit stehen wir in einem knöcheltiefen See. Im stickig-warmen Auto sitzen wir das Gewitter aus und hoffen dass der Pegel unseres kleinen Privatsees nicht noch weiter ansteigt und wir nicht noch auf einen höher gelegen Platz umparken müssen.
Klare Luft und strahlend blauer Himmel am nächsten Morgen, der See um unser Auto ist versickert. Nach einer kurzen Fotorunde durch Turrach bremsen wir uns über die 23% steile Straße wieder hinunter ins Kärntner Tiefland. Auf solchen Strecken machen sich die 3,5 Tonnen unseres Fahrzeugs bemerkbar.
High Noon bei unserer Ankunft auf dem Campingplatz in Presseggen! Wie ausgestorben liegt der Platz in der Mittagshitze, offenbar sind wir die Einzigen, die gerade keine Siesta halten. Wir beziehen unseren vorbestellten Platz und beginnen mit dem Aufbau des Vorzelts – langsam und mit vielen Pausen im Schatten des Autos. Dass ausgerechnet dieser Platz in der prallen Sonne liegt, war bei unserer Reservierung auf dem Plan nicht ersichtlich. Auf das Zelt hätten wir sowieso besser verzichtet, es übertrifft jede Sauna.
Wir haben einen „festen Wohnsitz“ im Camping Max – und sechs Tage lang kein bisschen Langeweile. Am nächsten Tag bietet uns die Platzchefin den Umzug auf einen etwas schattigeren Platz an. Das ist problemlos möglich, weil es dank Corona viele Leerplätze gibt. Zunächst setzen wir uns aber erst einmal auf die Räder für eine größere Runde durch den breiten Talgrund um den Pressegger See. Durch den Fahrtwind wird die Hitze erträglicher, nur stehen bleiben dürfen wir nicht. Wieder zurück geht es dann in der Nachmittagssonne an den Umzug. Unser Vorzelt bauen wir erst gar nicht wieder auf, wir beschränken uns auf die Markise, unter der wir auch im obligatorischen Abendgewitter trocken – und vor allem luftig – sitzen können.
Eine Fahrt mit der Draisine von Kötschach nach Jengen war vorgebucht, ein Spaß vor allem für die Kinder, aber auch für uns Erwachsene. Erst seit Kurzem werden diese Fahrten angeboten, weshalb sich auch der Andrang noch in Grenzen hält. Wir sind zu sechst und so darf jeder mehrmals in die Pedale treten oder die Schranke an den Straßenübergängen öffnen. 35 ° zeigt das Thermometer und wir lassen uns gerne den Fahrtwind um die Nase wehen. Ein Bad im 26 ° warmen See beschließt den Tag. Nein, nicht ganz, den Abschluss bildet wieder ein Gewitter.
Kein Sonnenschein am nächsten Morgen, der uns so selbstverständlich geworden war, tief hängen die Regenwolken im Tal. Was tun? Eine Autowanderung hinauf zum Weißensee erscheint uns die beste Lösung für diesen Tag. Der lange, schmale See, eingezwängt zwischen steilen, bewaldeten Hängen hat große Ähnlichkeit mit einem norwegischen Fjord – nur das Menschengewimmel in den wie auf einer Perlenschnur aufgereihten Orten an seinem Ufer passt nicht so recht ins Bild.
Wir bedaueren, dass wir unsere Räder nicht mitgenommen haben, mit ihnen hätten wir kilometerweit am unbebauten Südufer entlang zum Ende des Sees fahren können. Stattdessen wandern wir auf der Rückfahrt ein Stück in die Weissenbachklamm hinein. Sie ist bekannt für ihre großen Sinterterrassen, zeigt ihre ganze Schönheit aber auch erst bei gutem Wetter.
Wenn es auf dem Berg regnet, geht man in den Berg. Auf einer Führung durch das Schaubergwerk Terra Mystica erfahren wir viel über die Erdgeschichte und den Bleiabbau in diesem Tal, die Kinder finden bei einer Schatzsuche „edle Steine“. Von der Fahrt in die Tiefe über eine Bergmannsrutsche bis hin zur Rückkehr ans Tageslicht mit einem Lorenzug ist alles dabei. Die konstante Jahrestemperatur von 8 ° in den alten Stollen ist nach der Hitze der letzten Tage äußerst angenehm. Negativ sind jedoch die vorgeschriebenen Masken, durch die wir die frische, kühle Luft nur gefiltert atmen können. Terra Mystica und das benachbarte Terra Montana sind sehr zu empfehlen nicht nur – oder vielleicht auch gerade nicht – bei Regenwetter. Auf der Terrasse eines Cafés mit Generationen Spielplatz klingt unser Ausflug in den Berg aus.
Abends sitzen wir bei Dauerregen im Auto. Morgen wollen wir zum Naßfeld hinauf fahren und auf den Gartnerkofel wandern. Ob das klappt?
Der Gartnerkofel, all die Tage hat er so einladend zu uns herunter geschaut und ausgerechnet heute versteckt er sich hinter Wolken! Natürlich, wandern kann man auch bei Regen, nur was ist dann mit der Aussicht und wo bleibt der Spaß? Beides gehört doch mit zu einer Bergwanderung. Während wir nach Alternativen suchen, schweift unser Blick durch das Auto. Mit einem mobilen Eigenheim ist es vermutlich nicht anders als mit einem fest gemauerten – man wird nie fertig. Hier noch ein Haken, dort noch eine Ablage … genügend Ideen für die nächsten Wochen. Nach diesem planerischen Ausflug wird es höchste Zeit für den realen Ausflug hinauf zum Nassfeld.
Und wir werden belohnt! Sonne und Schönwetterwolken als wir mit dem Sessellift zum Ausgangspunkt unserer kleinen Tour hinauf fahren. Gut 200 Höhenmeter sind es von hier noch bis auf dem 2.195 m hohen Gipfel, der in Gedenken an die Opfer der beiden Weltkriege mit einem Eisernen Kreuz gekrönt wird. Das Dreiländereck Österreich/Italien/Slowenien hat blutige Zeiten erlebt. Wir schauen hinunter ins italienische Pontebba Tal und in die Karnischen und Friulischen Alpen. Nur für das Foto hinunter zum Pressegger See komme ich zu spät, eine Wolkenbank hat sich zwischenzeitlich über das Tal geschoben. Immerhin kommen wir entgegen der Wettervorhersage trocken hinauf und wieder hinunter und gönnen uns zum Abschluss noch ein leckeres Essen auf der Terrasse des Alpenhotels Plattner.
Mit Detlefs Geburtstag haben wir die Reise begonnen, mein Geburtstag wird der letzte Tag am Pressegger See sein. Aus mehreren Vorschlägen habe ich mich für Greifvogelschau und Affenberg entschieden, vor allem deshalb, weil ich mir unter einem Affenberg nichts vorstellen konnte. Leider hatten noch tausend andere Leute die gleiche Idee. Schauplatz ist die Burg Landskron, die hoch über Villach und dem Ossiacher See thront. Diese exponierte Lage bietet ideale Voraussetzungen für die Greifvogelschau in der Adlerarena, bei der wir u.a. Steinadler, Milane und diverse Eulen zu sehen bekamen.
Wieso ins kalte Kärntner Wasser springen? In der japanischen Heimat gibt’s heiße Quellen!
Japanische Makaken sind die Stars am Affenberg, wo sie in freier Wildbahn leben und genau wie dort haben sie auch hier rasch gelernt, wie man ohne Aufwand an Futter kommt. Man – sorry Affe – heftet sich an die Fersen des Guide mit seinen vollen Futtertaschen. Besonders schlaue Weibchen können sogar den Futterautomaten bedienen, wozu vier verschiedene Handgriffe nötig sind. Und sich den Apfel schwimmend aus dem Pool holen, wenn man keine Lust zum Schwimmen hat? Man wartet einfach bis er am Beckenrand antreibt und fischt ihn sich dann heraus. Schlaue Kerlchen, diese kleinen Primaten!
An allen schönen Plätzen anhalten, die uns gefallen sollten wir, das hatte uns mein Sohn zum Abschied noch mit auf den Weg gegeben. Hätten wir das wörtlich genommen, wir wären vermutlich Tage unterwegs gewesen. Über Kötschach wechseln wir hinüber ins Drautal, dem wir bis Lienz folgen. Knapp 30 Kilometer weiter in Matrei werden wir auf ein Schild aufmerksam: Umbal Wasserfälle, 19 km. Wir haben kein festes Ziel an diesem Tag, warum also nicht diesen Abstecher machen?
Im hinteren Virgental stürzt sich die Isel, der letzte frei fließende Gletscherfluss der Alpen in mehreren Katarakten in die Tiefe – ein beeindruckendes Schauspiel, das wir in einer halbstündigen Wanderung erreichen. Ich hätte große Lust in dem idyllischen Talkessel nach Abzug aller Tagesgäste die Nacht zu verbringen, aber zum einen ist Campieren im gesamten Tal verboten – aus gutem Grund bei dieser leichten Erreichbarkeit – zum anderen hatten wir sowieso weder Zelt noch Schlafsack dabei.
So steigen wir am Parkplatz Ströden wieder in unser sonnenheißes Auto und wechseln durch den Tauerntunnel auf die Nordseite der Alpen. Im Campingpark Grubhof nahe Lofer ergattern wir einen der letzten freien Plätze. Der Kontrast hätte größer nicht sein können: Ein moderner, perfekt organisierter Platz, dicht an dicht vollgestellt mit Langzeitgästen und wir mittendrin – nicht unsere Welt! Aber was kann man schon groß erwarten, wenn man in der Hauptsaison abends um sieben ankommt? Entlang der braunen, Hochwasser führenden Saalach verlassen wir am nächsten Tag über Bad Reichenhall die Berge zu unserer letzten Etappe.
War diese Reise nur ein Ersatz für unsere Skandinavienrunde, eine Notlösung? Keinesfalls! Der Charme und die Vielseitigkeit des südlichen Kärnten hat uns begeistert. Wir wollen wiederkommen in die Nockberge, die Gailtaler Alpen, an die Seen und zu den Wasserfällen, vielleicht auch einmal zu einer anderen Jahreszeit. Vielleicht werden wir auch weiter fahren ins benachbarte Slowenien, den Triglav Nationalpark besuchen, die Soča mit ihrem smaragdgrünen Wasser … Man wird sehen.
Go to top
0
Schreibe einen Kommentar