Ein Ausflug in Norwegens kleinsten Nationalpark
Was kann man schon groß erwarten von einem Nationalpark, der gerade einmal 8,5 km² misst und dessen ganze Attraktion aus altem Fichtenwald besteht und zwei Hügeln mit läppischen 1.100 Höhenmetern? So hatten wir schon öfter gedacht und ihn abseits liegen lassen. Dieses Mal aber sollte er zum eindrucksvollen Abschluss unseres Urlaubs werden, zum sprichwörtlichen Sahnehäubchen.
Unser Urlaub ging dem Ende entgegen. Wir waren gewandert, hatten die Jyltingsmarka mit dem Kanu erkundet, hatten ausge- dehnte Touren mit den Rädern unternommen und zuguterletzt im Dovrefjell die Snøhetta bestiegen. Wir hatten warme, sonnige Spätsommertage in Femunden erlebt und Schnee im Dovrefjell. Jetzt in diesen ersten Septembertagen waren wir auf dem Weg nach Süden und hatten noch einen Tag „übrig“, bis unsere Fähre in Oslo ablegen würde. Was also tun an diesem „freien“ Tag?
Wir erinnerten uns an den Ormtjernskampen Nationalpark*, den wir schon so oft auf unserem Plan stehen hatten, den wir dann aber jedes Mal aus Zeitgründen oder zugunsten anderer Ziele wieder zurück gestellt hatten. Ein Abstecher dorthin lag auf der Hand, hatten wir doch im Espedalen übernachtet.
Wolkenlos und glasklar war der Himmel an diesem Morgen, als wir uns von Forset aus auf dem kleinen Sträßchen über unzählige Kehren zum Gipfel des Værskei hinauf schraubten. Nun erwartet man zwar bei einem Berg, selbst wenn er nur knapp tausend Meter hoch ist, immer etwas Aussicht, aber bei einer Bergtour mit dem Auto …? Das Panorama verschlug uns die Sprache! Wie auf einer aufgeschlagenen Karte breitete sich das gesamte nördliche Oppland vor uns aus: Von den niedrigeren Hügeln im Süden über die Höhenzüge nördlich von Lillehammer, den runden Gipfeln des Rondane bis hin zu den leuchtenden Gletschern im Jotunheimen 360° Aussicht, nichts als Aussicht! Und mitten in diesem Meer aus Bergen lag unser Ziel: die beiden Gipfel von Dokkampen und Ormtjernkampen.
Eine feierliche Ruhe lag über diesen herrlichen Fleckchen Erde. Der beginnende Herbst färbte die Blätter der Fjellbirken gelb und in den Seen spiegelte sich das Blau des Himmels wider. Wir waren fast alleine auf der Straße, nur ab und zu begegnete uns ein anderer „Autowanderer“. Nur wenige Kilometer entfernt von der Betriebsamkeit der E6 fanden wir hier das wieder, was wir an Norwegen so sehr lieben.
Der Ormtjernskampen Nationalpark* liegt in etwa auf einem Viertel des Weges zwischen den Städten Lillehammer und Fagernes. Ein Schlagbaum versperrte uns die Weiterfahrt in den Park hinein. Wir hätten uns zwar in Holsbrua den Schlüssel ausleihen können, um noch gut drei Kilometer auf einer Forststraße in den Park hinein zu fahren, doch wir verzichteten gerne und machten uns zu Fuß auf den Weg gemeinsam mit einer norwegischen Familie. Sie waren mit Körben und Taschen ausgerüstet, gingen bald links, bald rechts ein paar Schritte in den Wald hinein und kamen jedes Mal mit reicher Beute zurück: Rotkappen, Maronen, Birkenpilze, Steinpilze und alles in einer Größe und Vielzahl, dass wir aus dem Staunen nicht mehr heraus kamen.
Wir waren bei Weitem nicht so gut ausgerüstet und hatten nur eine Plastiktüte im Rucksack, schließlich waren wir zum Wandern hier und nicht zum Pilze suchen! Aber mindestens mit dem Foto wollten wir diese Prachtexemplare doch festhalten und krochen ebenfalls ins Unterholz. Nach dem fünften Bild konnten wir der Versuchung nicht länger widerstehen und der Pilz wanderte in die Plastiktüte. Noch ehe wir nach drei Kilometern den Aufstiegspfad zum Ormtjernkampen erreicht hatten, war die Tüte gut gefüllt und beachtlich schwer und wir waren uns einig, dass der Begriff „Pilze sammeln“ hier durch „Pilze ernten“ ersetzt werden muss.
Mit dem ersten Schritt weg von der Forststraße hinein in den Wald betraten wir eine andere Welt. Wir wanderten durch Urwald, durch eine Vegetation, die in ihrem Werden und Vergehen sich selbst überlassen bleibt und die dadurch eine unglaubliche Schönheit und Vitalität ausstrahlt. Alles um uns herum war grün: Die uralten, hohen Fichten, die Kappen aus Moos auf den Felsbrocken, der Waldboden und selbst die abgestorbenen Stämme, aus denen wieder frisches Grün heraus wuchs. Der Kreislauf des Lebens, hier wurde er uns bei jedem Schritt vor Augen geführt.
Mit unserem Schatz in der Hand stiegen wir über den steilen Pfad hinauf, vorsichtig darauf bedacht, mit der sperrigen Tüte nur ja an keinem Hindernis anzustoßen. Nach ca. 20 Minuten lichtete sich der Wald, die Fichten wurden kleiner und machten niedrigen Fjellbirken Platz, bis der Pfad schließlich über einen letzten steilen Aufschwung zum Gipfel des Ormtjernkampen führte.
Wir sanken ins Gras, nicht weil wir so erschöpft gewesen wären von der guten halben Stunde Aufstieg, sondern weil wir in diesem Moment nur eines wollten: Schauen. Wie auf einem Aussichtsturm saßen wir hier oben inmitten einer Seenlandschaft, einer Hardangervidda im Kleinen, am Horizont die runden Formen des Rondane, uns gegenüber der Dokkampen mit seinem breiten, felsigen Gipfel und dahinter klar und deutlich in der herbstlichen Luft die Berge des Jotunheimen. Wir erkannten Valdresflya, Glittertind und Galdhøpiggen und erinnerten uns an viele schöne Tage. Wir konnten uns kaum satt sehen.
Wolken waren aufgezogen und ein kräftiger, kühler Wind ließ uns gerne in unsere Jacken schlüpfen, der nahe Herbst konnte nicht mehr verleugnet werden. Etwas wehmütig verließen wir unsere Aussichtswarte in den Bewusstsein, in 24 Stunden bereits auf der Fähre in Richtung Deutschland unterwegs zu sein. Noch ein letzter, ein allerletzter Rundblick auf der Rückfahrt über den Værskei, dann tauchten wir ein in das tief eingeschnittene Gausdalen, das bereits im abendlichen Schatten lag.
Das Abendessen wurde zum Festmahl. Mit unserer letzten Flasche Rotwein stießen wir an auf die knapp drei Wochen, die hinter uns lagen, besonders aber auf diesen Tag mit seinen leuchtenden Farben, seinem Strahlen und mit der Weite und Freiheit, in der wir uns so zu Hause fühlen.
Fotos: © SkandAktiv, September 2008
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* Anmerkung:
Der Ormtjernkampen Nationalpark ging 2011 im Langsua Nationalpark auf.
Tipps:
Der Ormtjernkampen/Langsua Nationalpark ist in jedem Fall einen Abstecher wert und kann auch in eine Radtour mit eingebunden werden, da viele Zufahrten über Neben- bzw. Forststraßen erfolgen. Lediglich die letzte halbe Stunde zum Gipfel des Ormtjernkampen (1.128 m) muss zu Fuß bewältigt werden. Die kurze Mühe wird mit fantastischer Aussicht belohnt.
Zufahrt: Lillehammer – Follebu – Forset, FV 204 Richtung Fagernes. Die Straße ist größtenteils asphaltiert und kann auch mit Wohnmobilen befahren werden (enge Kehren!)
Empfohlene Karte:
Für die beschriebene Tour reicht eine gute Straßenkarte, darüber hinaus empfehlen wir: Synnfjell 1:50.000 (erhältlich bei SkandAktiv)
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