Tag 1.
Die Wolken hingen bis fast auf die Straße herunter und der Scheibenwischer des Linienbusses stand nicht still, als wir über den Sognefjellsvegen zum Ausgangspunkt unserer fünftägigen Hüttentour fuhren. Nicht gerade ein glücklicher Auftakt für unser Vorhaben! Es regnete noch immer, als wir oberhalb von Turtagro den Bus verließen und das Helgedalen aufwärts wanderten.
Steil und nur zur Hälfte sichtbar erhob sich am Talschluss der Fannaråken. Auf seinem Gipfel, irgendwo dort oben in den Wolken, lag unser heutiges Ziel: die Fannaråkhytta, mit 2.068 m die höchstgelegene Hütte Skandinaviens. Die Aussicht von dort oben ist gigantisch – sofern man nicht gerade in eben jenen Wolken steckt.
Allmählich ließ der Regen nach, hörte schließlich ganz auf und je höher wir stiegen, desto löchriger wurde die Wolkendecke. Ab und zu konnte man einen Blick erhaschen auf die nahen Skagastølstindane und hinüber zum Jostedalsbreen. Schließlich öffnete sich das weite Gipfelplateau und gab den Blick auch zur anderen Seite frei.
Zwar wurde es nichts mit dem erhofften „faulen Nachmittag“, mit Relaxen auf sonnenwarmen Felsplatten, aber immerhin steckten wir nicht mehr mitten im Nebel. Abwechselnd konnte man bald in die eine, bald in die andere Richtung schauen: über die unzähligen Gipfel von Breheimen und Jotunheimen, in die imponierenden Abbrüche der Skagastølstindane und hinüber auf die Gletscherkappe des Jostedalsbreen, die mittlerweile deutliche Spuren der Auflösung zeigt. Die gegenwärtige Klimaentwicklung geht auch an Skandinavien nicht spurlos vorüber.
Achthundert Meter tiefer krochen kleine Spielzeugautos lautlos über den Sognefjellsvegen und durch einen Taleinschnitt schimmerte dunkelgrün und geheimnisvoll ein Stück des Lustrafjords herauf.
Mit dem letzten Tageslicht setzte die Sonne noch einen gewaltigen Schlussakkord. Ein Regenbogen spannte sich vom Fuß der Skagastølstindane im Halbkreis über die gesamte Szenerie. Ob mein Wunsch nach zwei schönen, beständigen Wochen wohl irgendwo Gehör finden würde?
Lange hatte ich ihn hinausgezögert, den ungeliebten Gang zur Toilette, nun ließ er sich nicht weiter aufschieben. Leise schälte ich mich aus meinem Schlafsack, schlüpfte vor der Hütte in meine Bergschuhe und machte mich über Blockwerk und Altschneereste auf den Weg zum abseits liegenden, nicht besonders wohlriechenden Häusl. In solchen Augenblicken frage ich mich immer, warum ich mir nicht einfach ein Hotelzimmer mit Dusche und WC miete. Der Zauber der frühen Stunde beendete rasch meine dekadenten Gedanken. Im Osten hatte sich die Sonne gerade über den Horizont geschoben, vereinzelte Wolken zogen langsam über den noch blassen Himmel und kein Laut war zu hören, die Stille war vollkommen. Lange saß ich auf dem Treppenaufgang vor der Hütte, ehe ich dann doch noch für ein Stündchen zurück in den Schlafsack kroch.
Tag 2.
Das Frühstück war einfach aber gut. Die jungen Wirtsleute gaben sich redlich Mühe mit dem, was sie zur Verfügung hatten. Noch ein letzter Blick in die Runde, diese Aussicht würden wir so schnell nicht wieder präsentiert bekommen, dann begann der lange Abstieg hinunter zur Skogadalsbøen, über Blockwerk, Schneefelder, Schrofenhänge, vorbei an Seen und über Bergwiesen, 1.200 Meter immer nur abwärts, hinunter bis ins Utladalen. Die letzte halbe Stunde schlängelte sich der Weg durch urwüchsigen Bergwald. Farne, Schachtelhalme und allerlei Blumen bedeckten den Boden wie ein Teppich. Es hatte wieder zu regnen begonnen, Wasser tropfte von den Bäumen, die Steine wurden glitschig und in den Vertiefungen standen knöcheltiefe Pfützen.
Die Skogadalsbøen – wir kamen in eine andere Welt! Gestern die Fannaråkhytta inmitten einer trockenen Steinwüste und aufgrund ihrer exponierten Lage nur mit dem Nötigsten versehen, heute die Skogadalsbøen, umgeben von grünen Wiesen und mit einer vergleichsweise luxuriösen Ausstattung. Es gab Wasser im Überfluss, warme Duschen und elektrisches Licht im ganzen Haus, ganz zu schweigen vom Trockenraum, in dem annähernd Saunatemperatur herrschte. Und es gab viele Menschen, zu viele! Es war Freitag Abend und aus allen Himmelsrichtungen strömten die Leute hier zusammen, unbeeindruckt von der schlechten Wettervorhersage für den nächsten Tag. Gegessen wurde in zwei Schichten, bemerkenswert wie ruhig und entspannt dies ablief, auf der Skogadalsbøen ist man an einen derartigen Massenbetrieb offenbar gewöhnt.
So wie die Leute gestern hier zusammen gekommen waren, so zerstreuten sie sich am nächsten Morgen wieder in alle Richtungen und schon nach einer halben Stunde waren wir wieder alleine unterwegs. Wir schlugen die Richtung Olavsbu/Leirvassbu ein. Unsere Gruppe teilte sich heute. Drei von uns wollten in zwei Tagen über Leirvassbu nach Spitterstulen, um von dort aus den Galdhøpiggen zu besteigen, eine stramme Tour über 1.300 Höhenmeter auf und ab. Der Rest der Gruppe blieb bei der geplanten Route Olavsbu-Leirvasbu und ließ es gemütlicher angehen.
Gemütlich? Der Weg zur Olavsbu wollte kein Ende nehmen! Immer noch ein Bergrücken, immer noch ein Bachlauf waren zu überqueren. Längst hatten sich auch die besten Bergschuhe voll Wasser gesogen. Zu allem Überfluss spielten wir heute mit Ausdauer das Spiel „Regenjacke an – Regenjacke aus“. Wir waren alle froh, als wir nach einer letzten Bachquerung – ausnahmsweise auf einer Brücke – endlich bei der Hütte ankamen.
Der herzliche Empfang durch die beiden Hüttenwartinnen ließ uns alle Strapazen vergessen. Sie wiesen uns unser Lager in der etwas höher liegenden Selbstversorgerhütte zu. „Stokk & Stein“ stand neben dem Eingang – wie passend zum heutigen Tag!
Die Olavsbu ist eine sog. Selbstbedienungshütte, in der man zwar alle möglichen Dinge des täglichen Bedarfs vorfindet, sich aber ansonsten selbst versorgt. Wasser holen am Bach, Feuer machen im Ofen, kochen und die Abendstimmung genießen – wie herrlich unkompliziert das Leben doch sein kann! In dem gut sortierten Vorratsregal hatten wir die Zutaten zu unserem Abendessen gefunden und alles gewissenhaft auf unserer „Zahltüte“ notiert. Unsere Norwegen-Neulinge staunten nicht schlecht, wie gut dieses System funktioniert, das nur auf die Ehrlichkeit der Menschen setzt. Hoffen wir, dass auch künftige Besucher die Spielregeln einhalten, damit dieses System noch lange Bestand hat!
Tag 4.
Nach dem Frühstück bezahlten wir mit den Nummern von DNT-Ausweis und Kreditkarte, die wir auf der Tüte notierten – auch das funktioniert neben der Barzahlung! Wir verließen die Hütte so wie wir sie vorgefunden hatten: tiptop sauber, mit frischem Trinkwasser in den Eimern und einem fertig vorbereiteten Ofen, in den der nächste Besucher nur noch ein Streichholz zu halten brauchte. Wie froh waren wir selbst über diese Annehmlichkeiten gewesen, als wir gestern müde und hungrig hier ankamen!
Die beiden Damen standen vor ihrer Türe, winkten uns zum Abschied zu und riefen uns ein „God tur!“ nach. Dann waren wir wieder alleine in den Weiten des Fjells. Die Etappe Olavsbu-Leirvassbu ist die abwechslungsreichste der Tour: Schneefelder, Blockwerk in allen Größen, sumpfige Wiesen, Blumenwiesen und natürlich durften auch heute die brückenlosen Bachüberquerungen nicht fehlen. Zudem meinte es das Wetter besonders gut mit uns und schenkte uns eine ausgiebige, sonnige Mittagsrast.
Vor der Leirvassbu parkten einige Autos, die über die Mautstraße herauf gekommen waren – die Zivilisation hatte uns wieder! Die privat geführte Leirvassbu ist eine interessante Mischung aus DNT-Hütte und gutem Hotel. Wir genossen diesen „Luxus“ hinter dem großen Panoramafenster bei einem guten Abendessen. Dies war heute die letzte Übernachtung auf unserer Tour, auf der wir die unterschiedlichsten Hüttenkategorien kennengelernt hatten.
Tag 5.
„Da waren’s nur noch Vier.“ Noch einmal teilte sich heute unsere Gruppe. Zwischen Leirvassbu und Krossbu, wo unser Kleinbus stand, werden geführte Touren über den Smørstabsbreen angeboten, die sich eine Teilnehmerin nicht entgehen lassen wollte. Die „Fußkranken“ und die, die einfach keine Lust mehr auf weitere Kilometer und Höhenmeter hatten, entschieden sich für eine Rückkehr zur Krossbu mit dem Bus und genossen dort einen sonnigen, entspannten Tag.
Sonnig und voller Eindrücke, doch bei Weitem nicht so entspannt war der Tag für die drei Besteiger des Galdhøpiggen (2.469 m). Schon im Morgengrauen brachen sie in Spiterstulen auf, lange vor allen anderen. Der Lohn für das frühe Aufstehen und die rund 1.300 m Aufstieg war eine einsame Gipfelrast auf dem Dach Skandinaviens mit gigantischer Fernsicht. Man hätte ewig hier sitzen und schauen können! Doch 1.300 m tiefer und noch etliche Kilometer entfernt fuhr der Linienbus am Sognefjellsvegen und den galt es zu erreichen.
Am Abend waren alle Acht wieder vereint auf dem Campingplatz in Luster, auf dem wir zwei Hütten reserviert hatten und jeder konnte seine eigene Geschichte erzählen. Nun freuten wir uns darauf, Norwegen auch von seiner maritimen Seite kennen zu lernen, das Fjordland und die Inseln vor der Küste. → mehr
Beste Zeit für Wandertouren im Jotunheimen ist Juni – September, wobei im Juni noch mit größeren Schneeflächen, im September schon wieder mit Schnee gerechnet werden muss. Die Fannaråkhytta wird nur im Juli und August bewirtschaftet. Hochgebirgsausrüstung ist erforderlich, die Mitgliedschaft im DNT empfehlenswert (Anmeldung kann über SkandAktiv erfolgen). Empfehlenswert ist auch die Anmeldung auf den Hütten.
Empfohlene Karten: Statens Kartverk 1:50.000 Galdhøpiggen (493), Sygnefjell (495) und Hurrungane (489)
Sehen Sie sich die Schutzhütten dieser Tour an:
→ Fannaråkhytta, → Skogadalsbøen, → Olavsbu, → Leirvassbu, → Spiterstulen
Tourenvorschlag von ut.no
Die höchsten Gipfel Norwegens: Galdhøpiggen & Glittertind
Die Hütten auf googlemaps