Der alte Kobold starrte auf die geheimnisvollen Spuen. Tatsächlich, der Mann im Mond musste riesengroße Füße haben! Aber wie war er herunter gekommen, wunderte sich Langbart. Hatte er sich an einem Seil herunter gelassen, war er wie ein Vogel geflogen, oder hatte er eine Leiter benutzt?
Endlich zu Hause! Der alte Kobold Langbart hielt einen Augenblick inne und blickte zurück von wo er gekommen war. Der Mond stand schon hoch am Himmel und heute Abend war er voll. Hoch oben funkelten die Sterne. Langbart drehte sich wieder um und setzte seinen Weg zu seinem Koboldhäuschen fort. Es würde herrlich sein ins Warme zu kommen, sich in den Schaukelstuhl zu setzen und eine Tasse kräftige, dampfend heiße Kräutersuppe zu trinken.
Er hielt noch einmal inne, um die gute, kalte Nachtluft einzuatmen und einen letzten, staunenden Blick über das Land zu werfen, so wie er es immer tat in einer klaren Vollmondnacht.
Es war seltsam still an diesem Abend, kein Windhauch in den Baumwipfeln, nicht einmal ein Wolf, der drüben am Waldrand stand und den Mond anheulte. Da erst entdeckte er sie, eine tiefe, riesengroße Spur im Schnee! Eine solche Spur hatte er nie zuvor gesehen. Sie stammte weder von einem Luchs noch von einem Bären und auch nicht von einem Troll oder einer Elfe.
Zögernd näherte er sich, beugte sich hinunter, prüfte die Spuren genau und streckte zum Schluss seine Nase ganz weit hinunter, um sie am Geruch zu erkennen. Nein, das war kein Geruch, den er kannte. Er richtete sich wieder auf. Und so etwas hier, genau vor seinem Häuschen! Er fuhr sich durch den langen Bart und schüttelte verständnislos den Kopf. Sein Blick streifte neugierig den Mond, der langsam und mühselig über den dunklen Himmel kletterte. War da etwas?
Gløgg, der alte Bursche vom Oppigarden hatte einmal gesagt, dass der Mann im Mond ab und zu bei Vollmond herunter klettert und einen Spaziergang unternimmt, wenn Trolle, Geister und Unterirdische die Einzigen sind, die nicht schlafen. Mit eigenen Augen hatte das Langbart zwar noch nie gesehen, aber immer bei Vollmond hatte er darauf gehofft. Aber wie war er nur herunter gekommen, der Mann im Mond, wunderte sich Langbart. Hatte er sich an einem Seil herunter gelassen, war er wie ein Vogel geflogen, oder hatte er eine Leiter benutzt? Langbart starrte wieder auf die geheimnisvollen Spuren. Der Mann im Mond musste wirklich riesengroße Füße haben!
Langbarts Blick wanderte langsam hinauf zum Himmel. Wie lang war eigentlich ein Kerl mit so großen Füßen? So lang wie die Tanne dort? Ein Schauer durchfuhr ihn. Ach du liebe Güte war das viel, viel größer als sein Koboldhäuschen! Er sah sich ängstlich um. Hörte er da nicht plötzlich ein Geräusch? War da nicht jemand, der sich hinter den Bäumen dort drüben bewegte?
So schnell ihn seine 200 Jahre alten Beine tragen konnten, lief er zur Türe, riss sie auf, sprang hinein und ließ die Türe hinter sich wieder zufallen. Er blieb ein Weilchen stehen und rang nach Luft. „Obs, das war knapp“, murmelte er vor sich hin. Er lief zum Fenster und sah hinaus. War es ein garstiger, großer Kerl der da umher ging, dann war es besser so lange im Haus zu bleiben, bis kein Vollmond mehr war.
Der alte Kobold Langbart vergaß alles um sich herum, seine Müdigkeit, die dampfende Kräutersuppe und den Schaukelstuhl, so gespannt war er, den Mann im Mond zu Gesicht zu bekommen. Um besser sehen zu können, löschte er die Laterne, kniete sich auf die Bank unter dem Fenster und presste die Nase an die alte, zerkratzte Scheibe.
Der Mond kroch ständig höher am Himmel und warf lange, dunkle Schatten auf den Schnee. Noch hatte kein Wolf begonnen den Mond anzuheulen, noch standen die großen Tannen regungslos, so als ob Alles da draußen auf etwas wartete.
Der alte Langbart unterdrückte ein Gähnen und rieb sich die Augen. Er durfte doch nicht gerade jetzt schläfrig werden! Nicht jetzt, wo der Mann im Mond genau vor seinem Koboldhäuschen war und wahrscheinlich gleich vor seinem Fenster stehen würde.
Einem alten, von der Gicht geplagten Kobold wie ihm tat es ein bisschen weh, so zu knieen. Könnte er sich doch nur gegen die Fensterbank lehnen und den Kopf etwas ruhen lassen! Seine Augenlider waren so schwer! Er blinzelte und blinzelte, um zu verhindern, dass sie wieder zu fielen. Vielleicht könnte er sie ja für ein ganz kleines bisschen schließen, er würde es sicher hören, wenn der Riese vorbei stampfte. Der Kopf sank schwer auf seinen Bart herunter und Langbart fiel auf der Stelle in einen tiefen Schlaf.
Da hörte er plötzlich eine Stimme. Sie war anders als alle Stimmen, die er bisher gehört hatte, tief und heiser. „Alter Langbart“, sagte sie und als er sich umdrehte, sah er ein seltsames, großes Wesen gebeugt unter dem Türrahmen stehen. Der Fremde hatte einen langen, gelben Bart, der ihm bis an die Zehen reichte, gutmütige Augen und merkwürdige Kleidung. „Willst du mit auf eine Tour hinauf zum Mond kommen?“
Langgbart war drauf und dran, von der Bank herunter zu springen. Im Eifer hatte er alle Angst vergessen. „Ist das wahr? Darf ich?“ Gleich darauf sprang er aus seinem Koboldhäuschen, kletterte wie ein junger Kobold über den Lattenzaun und rannte im Schnee weiter, um mit dem langbeinigen Mann Schritt zu halten. Rasch waren sie bei der großen Tanne. Dort hing, versteckt zwischen den Ästen, ein goldenes Seil. Der Mann im Mond band zuerst das Seil um Langbarts Taille, danach schlag er es um sich. Dann gab er dem Seil einen kräftigen Ruck und im nächsten Augenblick wurden sie hinauf gezogen.
Es ging höher und höher, die Sterne kamen immer näher, der Wind blies ihm ins Gesicht und pfiff um die Ohren und der Mond wurde größer und größer. Langbart warf einen Blick hinunter, aber als er sein Koboldhäuschen so winzig klein sah wie einen Klecks Vogelkot im Schnee, da wurde ihm so schwindlig, dass er die Augen schließen musste.
Endlich waren sie oben! Der Mond war so, wie Langbart es sich vorgestellt hatte: Ein großer, runder, gelber Käse von außen, aber als sie hinein kamen war es, als ob sie in eine riesengroße, runde Koboldstube kämen, mit Truhen und Laternen und Strohbetten. Dort drinnen war es so warm, dass er seine Koboldmütze ausziehen musste. Verdutzt fuhr er sich mit der Hand über den Kopf, es war viele Jahre her, als er sich zuletzt die Mütze ausgezogen hatte.
Auf einem großen Tisch stand ein massiver, goldener Grützeteller, randvoll mit dampfender, frisch gemachter Julegrøtt, mit einem Klecks Butter, Honig und Mondkräutern. Daneben stand ein großer goldener Krug mit gelbem, schäumendem Mondbier. Langbart war hungrig und ließ sich nicht zweimal bitten zuzugreifen. Es war die beste Julegrøtt, die er je gekostet hatte. Während er aß, konnte er durch ein rundes Loch im Boden schauen. „Schau, da unten kannst du die Erde sehen“, sagte der Mann im Mond.
Staunend starrte Langbart durch das Loch. Er sah ein verschneites Fjell, Flüsse, Seen und zwischen zwei Bergen sah er zwei große Koboldjungen davon hasten, die sich sicher beeilten nach Hause zu kommen bevor die Sonne aufging. In einem dunklen Teich weiter im Süden sah er, wie der Nöck den Kopf über das Wasser streckte und mit seiner bleichen, mageren Hand nach einem kleinen Kobold griff, der am Ufer stand. Als er genauer hinsah, bemerkte er zu seinem Schrecken, dass es das Kind seiner Schwester war. Er nahm ein Stück Mondkäse, nahm Maß, warf und landete einen Volltreffer mitten auf dem Kopf des Nöck. Er sah wie dieser in der Tiefe verschwand und nicht mehr erschien.
Als Langbart den Hals reckte und nach seinem Koboldhäuschen sah, blieb ihm vor Schreck die Julegrøtt im Hals stecken. „Ich muss nach Hause“, hustete er, „mein Häuschen ist weg!“ Kurz danach wurde er wieder herab gelassen, mit einer Geschwindigkeit, die ihn ganz taumelig machte. Er landete in der weichen Schneedecke und blieb sitzen, bis die Bäume wieder still standen. Dann raffte er sich auf und stampfte heimwärts mit einer Schnelligkeit, wie es ein 200 Jahre alter Kobold nur konnte. Als er sein Koboldhäuschen genau an der Stelle stehen sah, an der es gestanden hatte, wurde er so froh, dass er eine kleine Träne weinen musste
Ein todmüder, aber glücklicher alter Kobold kroch auf die Bank unter dem Fenster, rollte sich zusammen wie eine Katze, schlief sofort ein und schnarchte sich dem nächsten Morgen entgegen. Er hörte nicht, wie genau vor seinem Häuschen jemand jemand durch den Schnee stapfte. „Es muss hier an dieser Stelle gewesen sein, dass ich ihn verloren habe“, sagte der Holzfäller Olai Plassen zu sich selbst. „Genau hier kam ich vorbei, ich kann noch meine Spuren im Schnee sehen.“ Aber so sehr er auch suchte, er fand den dicken Fäustling nicht, den ihm Guro neulich gestrickt hatte und ging enttäuscht zurück zu seiner Holzfällerhütte im Wald weit im Norden.
Als der alte Kobold Langbart am nächsten Morgen erwachte, wusste er zunächst nicht wo er war. Dann kamen die Erlebnisse der Nacht in seiner Erinnerung zurück. Einen Augenblick lang blieb er verwirrt sitzen. „Ich habe das wohl nicht nur geträumt?“, murmelte er plötzlich für sich. Sekunden später sprang er von der Bank herunter, humpelte zur Türe, öffnete sie und eilte hinaus. Dann schmunzelte er in seinen Bart. Da lagen die großen Spuren noch immer und dazu noch mehr als gestern Abend. „Das müssen die gewesen sein, die kamen und mich holten“, murmelte er.
„Da habe ich also nicht geträumt!“, rief er vergnügt aus und machte sich über den Schnee davon. Er musste sich beeilen, um zu dem alten Gløgg in Oppigarden zu kommen und ihm erzählen, was er erlebt hatte. Das war eine Geschichte, die alle Kobolde im Dorf hören mussten! Keiner von ihnen war jemals beim Mann im Mond gewesen.
Nach einer norwegischen Erzählung, deutsch von SkandAktiv
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